Rumkommen

Reisegeschichten

Aus dem Tagebuch eines Vagabunden

Jul 282016

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In elf Tagen habe ich einen Platz in den Pyrenäen. Innerhalb dieser Zeit muss ich von der Normandie dorthin kommen. Ich will diesmal aber nichts planen. Keine Strecken, keine Übernachtungsmöglichkeiten. Einfach mal so richtig on the Road sein. Schließlich muss man das gute Wetter ausnutzen. Und so ist es passiert:

Tag 1

Becky, Bob und die Kinder fahren von ihrem Ferienhaus in der Normandie zurück nach Schottland. Sie nehmen mich bis zur Autobahnauffahrt mit. Fünf Minuten später hält ein deutsches Paar an und bringt mich bis zu einem Autobahnkreuz südlich von Saint-Malo.
Der Platz, an dem sie mich rauslassen sieht vielversprechend aus. Ein Kreisverkehr, der Auffahrt und Ausfahrt der Autobahn verbindet. Eigentlich perfekt. Aber es ist so gutes Wetter, dass anscheinend niemand um diese Uhrzeit zurück ins Landesinnere fährt, sondern alle nur auf dem Weg zum Strand sind. So warte ich drei Stunden in der glühenden Mittagshitze und versuche, mich hauptsächlich in den viel zu kurzen Schatten der Büsche aufzuhalten. Es ist zwar etwas frustrierend, aber immerhin halten einige Autos an und sind bereit mich mitzunehmen. Leider fahren die alle nicht gen Süden.
Also heißt es: Wandern zur nächsten Auffahrt. Fünf Kilometer mit der Sonne im Zenit und dem schweren Rucksack. Das Gute ist: Ich komme an vielen Häusern vorbei, wo ich meine Wasserflasche auffülen kann. Immer schön für die Elektrolyte sorgen!

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Zwei Stunden später bin ich dann an der Auffahrt. Zur Not kann man hier auch super zelten. Die versteckten Wiesen laden förmlich dazu ein. Nur das Wasser könnte ein Problem sein. Weit und breit kein Haus oder Fluss in Sicht. Also erst mal Daumen raus. Schon hält ein Franzose an, der sich für die Whisky-Flasche in seinem Auto entschuldigt. Da steigt mir auch gleich eine leichte Fahne in die Nase. Naja, er kann mich ja eh nur ein Stück auf die Autobahn mitnehmen. Soll mir recht sein. Wir versuchen krampfhaft zu kommunizieren, aber sowohl mein Französisch als auch sein Englisch ermöglichen nur äußerst kryptischen Smalltalk. Wir verabschieden uns mit einem Lächeln, da weiß man immer, was gemeint ist.
Eine Frau hält an und nimmt mich mit bis nach Rennes. Sie fährt mich sogar extra ins Stadtzentrum. Was ich dort machen werde, weiß ich nicht. Aber sie empfiehlt mir, dort wenigstens eine Nacht zu bleiben, da es eine sehr schöne Stadt mit vielen jungen Leuten ist. Okay, dann mal los. Ich trage meinen Rucksack durch die Stadt. Verdammt, ist das schön hier. Ganz viele mittelalterliche Gassen, große Kirchen, haufenweise Bars und im strahlenden Sonnenschein sind alle Leute nur halb so schnell unterwegs. Ich esse mein Mittag/Abendbrot vor dem Parlament de Bretagne, halte ein kurzes Schläfchen im Sitzen und mache mich dann erneut auf, um rauszufinden, wo ich die Nacht verbringen würde.
Das ganze Wasser muss raus. Ich brauche ein Klo. Die nächstbeste Bar sieht einladend genug aus und ist zufällig ein Irish Pub, also kann ich mich sogar mit den Barmenschen unterhalten! Ich werde auf Wasser und Bier eingeladen und verbringe dort ein paar Stunden mit den herrlichen Barkeepern Peter, Connor und Evy.
Langsam wird es dunkel. Peter verrät mir einen guten Park, der zentral ist, aber nicht abgeschlossen wird. Dort könnte ich vielleicht schlafen. Ich schaue mir den Square de la Motte an. Der ist doch offener als erwartet. Und es ist auch immer noch zu hell draußen. Aber in der Nähe gibt es eine weitere, viel größere Grünanlage: den Parc du Thabor. Abgeschlossen. Schade. Also zurück zum Square de la Motte.
Ein paar harmlos und jung aussehende Leute sitzen auf dem Gras. Die werde ich mal fragen, ob sie vielleicht noch eine Alternative kennen. Sie erzählen mir von einem Park im Osten (40min Fußmarsch), in dem man definitiv zelten könnte. Aber es sei wohl nicht der sicherste, bzw. habe er keinen guten Ruf. Ich solle doch einfach bei ihnen übernachten. Wir würden zwar noch den ganzen Abend im Park verbringen und müssten dann auch noch eine Stunde laufen, aber wenn mir das nichts ausmache, sei ich herzlich eingeladen. Natürlich macht mir das nichts aus! Hugo, Lucas, Gurvan, Sarah, Flavien und Lucie sind alle Anfang zwanzig und studieren oder jobben. Sie sprechen alle hervorragendes Englisch und so vergeht die Zeit unglaublich schnell. Vier Uhr morgens kommen wir dann in dem Viertel Villejean an. Ich bekomme sogar mein eigenes Bett und das Angebot, noch eine Nacht länger zu bleiben, damit ich mir Rennes auch noch mal ohne großen Rucksack auf dem Rücken anschauen kann. Wow!

Tag 2

Gurvan und Sarah leben zusammen mit einem Mitbewohner, der derzeit nicht hier ist und mit dabei sind Hund, Katze, Hase, Fische und Molche. Sie müssen am nächsten Morgen schon früh zu einem Familientreffen. Ich könne aber gern hier bleiben oder eben noch mal ins Zentrum latschen. Es sind wieder fast dreißig Grad draußen und so wandere ich diesmal ohne den großen Rucksack durch das idyllische Rennes.
Am späten Nachmittag setze ich mich vor eine Kirche und entspanne ein bisschen. Dann höre ich eine tiefe Männerstimme singen. Sie kommt vom anderen Ende des Platzes und klingt eindeutig nach Opernsänger. Ich muss einfach lächeln. So eine schöne Atmosphäre. Der Mann kommt auf mich zu, lächelt ebenfalls und singt noch ein bisschen zur Musik von seinen Kopfhörern. Dann sagt er: Hey, bist du Jesus? Erst da fällt mir auf, wie hippiemäßig ich doch manchmal rumlaufe. Lange Haare, Bart, keine Schuhe, ärmelloses Hemd. Und dann sitze ich noch auf den Stufen der Kirchentreppe.
Wir lachen beide und kommen ins Gespräch. Alain ist (natürlich) Opernsänger, um genau zu sein Bassbariton. Er ist 41 und wohnt seit zwanzig Jahren in Paris, kommt aber aus Rennes und besucht derzeit seine Eltern. Außerdem spricht er unglaublich gut deutsch. Er hätte zwar lange nicht mehr deutsch gesprochen und somit wieder einen starken französischen Akzenkt, aber das sei ja "charmant" (französisch ausgesprochen).

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Am Ende lädt er mich noch zum Abendessen ein und erzählt mir viel über seine wilde Zeit als Student. Er hat viel erlebt, würde allerdings auch gern mal wieder das Gefühl von Freiheit beim Reisen genießen. Denn so ein Job als Sänger bedeutet eben auch eine Menge Stress. So philosophieren wir noch eine Weile vor uns hin und ich verabschiede mich mit großem Dank für das Essen und die gute Gesellschaft und trete den Heimweg an.

Tag 3

Ich schlafe aus und gehe ein paar Lebensmittel im Supermarkt einkaufen. Als ich wiederkomme sind Gurvan und Sarah wach. Wir machen noch ein Abschiedsfoto und dann nehme ich die U-Bahn zum anderen Ende der Stadt. Sie kostet nur 1,50 EUR und als ich Kleingeld wechseln will, bietet mir eine Frau sogar an, die Fahrkarte zu bezahlen. Aber hey, so viel hab ich gerade noch selbst. Ich fahre von Endhaltestelle zu Endhaltestelle und komme am perfekten Ort zum Trampen raus: großer Kreisverkehr kurz vor der Autobahn.
Nach fünf Minuten Wartezeit nehmen mich zwei Frauen mit, die auf dem Weg nach Saint-Jean-de-Monts sind. Ein Küstenort südlich von Nantes. Das klingt gut. Also steige ich ein und werde gegen Abend in der Nähe der Campingplätze rausgelassen. Ganz so krass hatte ich es mir dann doch nicht vorgestellt. Hier gibt es nur Hotels, Restaurants und Campingplätze. Und es sind über dreißig Grad. Auch um sieben Uhr Abends noch. Wirklich jeder Winkel in diesem Ort scheint bebaut oder überwacht zu sein. Ich muss also ein Stückchen wandern.

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Dann entdecke ich einen kleinen Wald mit Picknick-Plätzen. Hier genehmige ich mir mein Abendbrot und warte auf die Dämmerung. Die Pinien und Büsche geben das perfekte Versteck für mein kleines Zelt. Ich schnorre mir vorher noch etwas Wasser von den anderen Picknickern und schaue mich nach einem geeigneten Plätzen um. Der Wald ist sehr licht, aber eine kleine getarnte Ecke gibt es doch. Das Zelt ist jedenfalls nicht von der Straße aus zu sehen. Parfait! Und warm genug ist es auch. Kein Schlafsack heute Nacht.

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Tag 4

Um sechs Uhr morgens klingelt der Wecker - pünktlich zum Sonnenaufgang. Die Nacht war sehr ruhig und es ist kein Mensch weit und breit zu sehen. Nach einem entspannten Frühstück am Picknick-Tisch bade ich erst mal im Meer. Das Wasser ist kühl genug zum Wachwerden. Ich gehe 3 km bis zum großen Supermarkt, kaufe etwas zu Essen für den Tag und halte den Daumen raus an der großen Straße gegenüber.
Nach einer Weile hält eine Frau an und bringt bis bis nach Challans. Dort warte ich bestimmt anderthalb Stunden, bis Vater und Tochter in einem alten amerikanischen Armee-Jeep von 1962 anhalten. Sie können mich leider nur ein kurzes Stück gen Süden mitnehmen. Aber bei 36 Grad in einem Auto ohne Türen zu sitzen, macht schon Spaß, auch wenn es nur kurz ist.

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Ich werde mitten auf der Schnellstraße rausgelassen ohne jeglichen Schatten weit und breit. Zum Glück sacken mich, ohne dass ich lange warten muss, Mutter und Tochter ein und setzen mich an einem großen Kreisverkehr in La Roche ab, von dem auch viele Autos in den Süden fahren. Und ich kann im Schatten stehen. Und es gibt ein Klo und Trinkwasser in der Nähe!
Nach einer halben Stunde hält eine Frau an. Sie will mich bis kurz vor Niort bringen. Das liegt auf dem Weg nach Bordeaux - ausgezeichnet. Ich steige ein, unterhalte mich kurz auf unglaublich schlechtem Französisch und schlafe ein. Das ist mir bisher noch nie passiert. Keine Chance, die Augen offen zu halten. Wahrscheinlich habe ich doch mehr Sonne abbekommen, als vermutet. Aber Charlotte stört das nicht. Sie weckt mich auf, als wir die Kreuzung passieren, von der sie abbiegen muss. Ich steige aus dem klimatisierten Auto aus. Bam! Die Sonne steht im Zenit. Und der Asphalt reflektiert auch noch jeden einzelnen Strahl.
Ich gebe mir eine Stunde Wartezeit. Dann muss ich mir einen Schattenplatz suchen. Dort sitze ich noch dreißig Minuten und überlege schon, wie ich mir meinen halben Liter Wasser bis zum nächsten Tag einteilen kann, denn hier gibt es kein Haus und kein Gewässer in der Nähe, nur Weizenfelder und Straße. Ich raffe mich noch einmal auf und halte den Daumen für eine weitere halbe Stunde raus. Endlich hält jemand an. Nein, sogar zwei Autos gleichzeitig! Ich frage beim ersten Auto, das näher steht. Eine Frau ist mit ihren zwei Söhnen unterwegs. Sie wohnen in Saint-Savinien und wollen ebenfalls in die Pyrenäen. Aber erst in zwei Tagen. Ich könne aber gern im Garten zelten, einen Tag im Dorf verbringen und dann mit ihnen allen runter fahren.
Zum Glück habe ich ja gesagt. Das Dorf ist wunderschön und ich merke, dass ich nun in Südfrankreich angekommen bin. Die Häuser sind aus hellem Kalkstein gebaut ("pierre de Crazannes") und alle mit blauen oder grünen Fensterläden versehen. Rundherum gibt es Flüsse, Kanäle und Felder. Olivia, Côme und Roman wohnen in einem großen Haus mit ebenso großem Grundstück.

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Es gibt mehrere Lagerräume für Materialen und Werkzeuge, denn viele Räume sind noch nicht fertiggestellt. In dem riesigen Garten suche ich mir ein schattiges Plätzchen unter zwei Feigenbäumen, an dem ich mein Zelt aufschlage.

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Olivia ist Künstlerin und hat in dem Gebäude neben dem Wohnhaus ihr großzügiges Atelier.

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Ich kann dort das Badezimmer benutzen und auch gerne Zeit für mich verbringen, wenn mir das zu viel Familie sein sollte. Eine Sache sollte ich mir doch heute noch angucken: einen alten Steinbruch, in dem sich nun Bildhauer austoben können. Der Ort heißt "Les Lapidiales" und gehört nicht umsonst zu Olivias Lieblingsplätzen in der Umgebung. Ich lasse mal ein paar Bilder für sich sprechen (Klick in die Mitte für große Ansicht):

Les Lapidiales

Abends werde ich noch herzlich zum gemeinsamen Abendessen eingeladen und dann falle ich in einen tiefen Schlaf. Trotz Vollmond.

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Tag 5

Heute hat Olivia ein paar Sachen im Dorf zu erledigen, aber sie bietet mir an, das Atelier nutzen zu können, um dort Musik zu machen. Die Akustik ist nämlich genial! Ein warmer Hall trägt Gitarre und Stimme sehr angenehm durch den hohen Raum. Und ich bin endlich mal wieder vollkommen ungestört. Als sie wiederkommt, zeigt sie mir ein paar ihrer Werke. Sie hat sich auf Portraits spezialisiert und sucht immer nach Gelegenheiten, Menschen zu zeichnen; sei es auf ihrem Marktstand, bei Konzerten, in der Musikschule, bei Freunden oder bei den Bildhauern in Lapidiales. So fragt sie auch mich, ob sie eine Zeichnung von mir machen kann, während ich Gitarre spiele. Mein erstes Portrait:

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Am Abend kommen noch drei Freundinnen vorbei. Rochelle ist Sozialarbeiterin an einer Schule, Alex ist Gärtnerin und Vero eine waschechte Chanteuse mit Raucherstimme. Sie trägt uns einige ihrer neu erlernten Lieder vor inklusive schauspielerischer Begleitung. Wenn das nicht Frankreich ist, was dann?

Tag 6

Heute geht's los in die Pyrenäen! Morgens packe ich mein Zelt ein und schmiere belegte Brote für die ganze Crew. Es wird eine lange Fahrt. Den Ort hier so frühzeitig zu verlassen fällt mir nicht leicht. Aber ich bin herzlich eingeladen, jeder Zeit wieder zu kommen. Egal, ob ich Urlaub machen oder am Haus arbeiten will.
Olivia hat nicht so lange geschlafen und fragt mich, ob ich nicht vielleicht auch ein Stückchen fahren würde, damit sie ein bisschen dösen kann. Das nenne ich Vertrauen, haha! Endlich mal wieder selbst am Steuer zu sitzen ist ein gutes Gefühl.

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Ich fahre eine ganze Weile und dann tun sich vor mir die Berge auf. Endlich! Die letzten echten Berge hatte ich in Schottland gesehen. Und der Blick nach links eröffnet die Sicht auf das Mittelmeer. Jawoll! Während der 600 km Autobahn hören wir die perfekte Musik für einen Roadtrip: Reggea, Paolo Conte, Janis Joplin, Deep Purple (Highway Star)... Ich muss sagen, die beiden Jungs haben einen hervorragenden Geschmack für 12 und 13 Jahre.
Wir halten noch kurz an, um Essen für den nächsten Tag zu besorgen und fahren dann geradewegs zur Gîte in Saint-Jean-pla-de-Cort, die Olivia für die Familie gebucht hat. Leider kann ich nicht auf dem Grundstück zelten, aber ich hatte schon einen Fluss auf dem Weg entdeckt, dessen Ufer sehr einladend aussah. Dort setzt mich Olivia ab und ich finde eine Stelle im (leider viel zu hohen) Gras für die Nacht. Mit Blick auf die Berge. Abendessen am Fluss und dann ab ins Bett/Isomatte.

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Tag 7

Ein heftiger Regen weckt mich morgens um sechs Uhr. Glücklicherweise hält der nicht lange an, sodass ich eine halbe Stunde später mein Zelt einpacken kann, bevor eventuell die ersten Leute mit ihren Hunden Gassi gehen. Zwar ist mein Zelt nicht vom Weg aus zu sehen, aber ich will trotzdem kein Aufsehen erregen. Nachdem der Rucksack gepackt ist, geht es erstmal in den Fluss. Etwas Hygiene kann nicht schaden, wenn man neben fremden Leuten im Auto sitzt.
Ich lasse mir ganz viel Zeit am Morgen, denn hier ist keine Menschenseele zu sehen. Also lasse ich in Ruhe die neue Umgebung auf mich wirken. Nach dem Regen ist die Luft viel feuchter als weiter im Norden. Es sind ein paar unbekannte Vögel und Insekten zu hören und überall wächst Bambus. Noch sind nur 24 Grad und der Himmel ist bewölkt. Eigentlich perfektes Wetter zum Wandern, aber mit dem großen Rucksack und 180 km vor mir, entscheide ich mich doch dazu, erst mal den Daumen rauszuhalten.
Im Supermarkt treffe ich auf den musizierenden Kassierer, der auch die Welt bereist hat und ganz neidisch wird, als er mich sieht. Ich lasse ihn ein bisschen Guitalele spielen.

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Es nehmen mich mit: ein Vater, der die Alpen mit dem Paraglider überquert hat; ein stilles Pärchen; ein cooler Typ, der mir heiße Quellen in den Bergen empfiehlt; ein Kampfsportler; und ein junger Bengel, der zu viel kifft, mich aber gestern bis Andorra mitgenommen hätte. Insgesamt schaffe ich ganze 40 km. Naja, Zeit hab ich ja, haha!
Ich laufe ca. 3km aus Millans raus und warte ewig am Kreisverkehr. Sobald die Straßen kleiner werden, sind kaum noch Autos unterwegs. Wenn die Sonne rauskommt, drückt die Hitze richtig. Zum Glück ist es hauptsächlich bewölkt. Endlich hält ein Auto. Zwei Dänen nehmen mich mit bis zum kleinen Ort Maury. Sie bieten mir an zu duschen und Wein mit ihnen auf der Terrasse zu trinken. Sie sehen ehrlich gesagt aus wie Hobbits. Ganz süß. Sie laden mich auch zu sich nach Hause in Seeland ein, wenn ich mal wieder in Dänemark sein sollte. Ich hole mir noch ein Croissant und Baguette, da der einzige Laden im Dorf eine Boulangerie ist, und verlasse Maury Richtung Berge. Dort ist leider alles voller Wanderwege, sodass das Zelt diese Nacht riskieren muss entdeckt zu werden. Aber keiner kommt und beschwert sich.

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In der Nacht höre ich den Sturm durch die Baumwipfel fegen. Glücklicherweise ist mein Zeltplatz anscheinend gut geschützt. Und es ist endlich etwas kühler, sodass ich besser durchschlafen kann.

Tag 8

Ich stehe ganz entspannt um 07:30 Uhr auf. Dann verzehre ich mühsam das ekelhafte Baguette aus der Boulangerie. Ich dachte, die Franzosen machen alle gutes Brot? Anscheinend gibt es auch hier Ausnahmen. Auf dem Weg zur Hauptstraße komme ich beim Haus der Dänen vorbei. Inger sieht mich und ruft mir noch ein letztes Mal "Have a good trip!" hinterher.
Am Ortsende findet sich der perfekte Platz zum Trampen: nach einem Entschleunigungshuckel mit Parkbucht. Somit warte ich auch nur 20 Minuten, bis mich eine Frau mit ihren zwei Töchtern mitnimmt. Sie ist vor einigen Jahren viel in den Pyrenäen klettern gewesen und verrät mir ein paar der besten Stellen. Die Straße nach Quillan ist atemberaubend schön. Die Berge sind viel grüner und an den Gipfeln viel schroffer, als im Süden. Ich kann nur staunend aus dem Fenster schauen: ein Kletterparadies nach dem nächsten. Es regnet hier auch mehr und die Temperaturen sind weitaus angenehmer als an der Küste.
In Quillan schlendere ich über den Wochenmarkt. Es gibt so viel leckeres Obst und Gemüse und Nüsse. Wenn ich das nur alles tragen könnte. Aber ein Brot muss sein. Es ist von einem kleinen Stand, der wahrscheinlich vor Marktende ausverkauft sein wird, dem Andrang nach zu urteilen. Das Warten hat sich gelohnt. Lecker! An der Touristeninfo kann ich mein Handy laden und währenddessen draußen in der Sonne essen und lesen. Es herrscht definitiv keine Eile, denn ich habe noch drei Tage Zeit für nicht mal 100 km.
Nach der langen Pause laufe ich zum Ortsausgang, immer schön bergauf und halte wieder den Daumen raus. Eigentlich will ich nach Lavelanet, da es dort einen Outdoor-Laden gibt, der mir eventuell mit einer Metallöse für das Zelt aushelfen könnte. Die hat sich nämlich beim Abbau heute morgen verabschiedet. Doch dann hält Leo an. Er ist auf dem Weg nach Belcaire und überzeugt mich mitzukommen, denn der Weg dorthin sei "très joli". OK, warum nicht?
Wir passieren das auf 1000 m Höhe gelegene Plateau Pays de Sault und an den Seiten erstrecken sich 2500 m hohe Gipfel. Und trotzdem ist alles sattgrün. Leo ist im letzten Jahr seiner Ausbildung. Er lernt quasi alle Outdoor-Sportarten, die man hier machen kann, um sie anschließend Kindern beizubringen. Spezialisiert hat er sich aufs Klettern. Hallo? Was ist das bitte für eine geile Ausbildung? Wir fahren also zu seinem Sommer-Job. Es ist ein Campingplatz, auf dem auch seine Kollegen Jim und Béatrice arbeiten. Dorthin kommen in den Sommerferien jede Woche 20-30 Kinder, die mit Naturaktivitäten bespaßt werden wollen.

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Leo bietet mir an, mit ihm (mein zweites) Mittag zu essen. Er ernährt sich hauptsächlich roh und so gibt es ganz viel frisches Obst, Gemüse und Senf. Die drei zeigen mir noch einen See um die Ecke, in dem ich ein bisschen schwimmen gehe, aber eher um mich zu säubern. Eine Abkühlung brauche ich bei dem Wetter hier nicht. Es sind 22 Grad bei bewölktem Himmel.
Anschließend werde ich extra noch zum Fuß eines Berges gefahren, dessen Gipfel von Kletterern bestiegen wird. Dort soll es ungestörte Ecken zum Zelten geben. Also dann mal hoch. Der Aufstieg dauert fast eine Stunde und das Klettergebiet ist nicht aufzufinden. Schweißgebadet komme ich oben an, denn auf dem gesamten Weg gibt es kein einziges ebenes Plätzchen. Leider auch auf dem Gipfel nicht. Der einzige halbwegs gerade Fleck findet sich am Beginn einer Skipiste. Aber sobald ich im Zelt liege, entpuppt sich dieser ebenfalls als Abhang. Todmüde schlafe ich trotzdem irgendwie ein. Um sieben Uhr Abends. Und stelle fest, dass ich Handtuch und Badehose auf der Leine des Camps hängen lassen hab.

Tag 9

Die Nacht ist zwar lang, aber extrem ungemütlich. In keiner Position kann ich länger als eine halbe Stunde ausharren. Und danach schmerzen diverse Knochen und Muskeln. Wenigstens ist es angenehm kühl auf 1200 m Höhe und der Ausblick am Morgen macht die rastlose Nacht definitiv wett.

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Da ich immer noch allein auf dem Gipfel bin, nutze ich die Chance und singe das Dorf unter mir wach. Es gibt nichts befreienderes, als aus voller Kehle von einem Berg zu trällern.
Der Abstieg dauert nur halb so lang und nun entdecke ich auch den Abzweig zu den Kletterrouten. Tja, zu spät. Da kann ich heute leider nicht mehr hin, denn ich habe nur noch einen letzten Schluck Wasser in der Flasche. Außerdem muss ich ja noch meine Sachen vom Camp abholen. Dort kann ich dann auch Wasser tanken.

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Jim fragt mich, wo ich denn heute hin wolle. Irgendwo zwischen hier und Bédailhac-et-Aynat. Er empfiehlt mir den Ort Ax-les-Therme, der in einem tiefen Tal liegt umgeben von riesigen Bergen. Das klingt idyllisch und der Weg dorthin passiert einen genialen Aussichtspunkt.
Ein Pärchen bringt mich bis zu besagtem Punkt. In 1400 m Höhe gibt es einen großen Parkplatz, von dem aus viele Wanderwege abgehen. Ich verstecke meinen Rucksack im Gebüsch und gehe zum Aussichtspunkt, der 1,6 km weiter bergauf liegt. Leider versperren die Wolken die Sicht auf viele der Gipfel. Beeidruckend ist es trotzdem, denn mit der Region Ariége betrete ich auch das Land der Dreitausender. Hier kreisen auch Adler majestätisch um die Gipfel.

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Der einzige Platz zum Weitertrampen liegt mal wieder in der prallen Sonne. Und wenn sie erst mal scheint, dann ist sie hier in den Bergen, fernab vom Küstenwind, wirklich erbarmungslos. Nach einer Stunde spreche ich ein Pärchen in den Fünfzigern an, ob sie nach Ax-les-Thermes wollen. Ja, und ich kann gerne mitkommen. Stephane und Brigitte fahren dort seit vielen Jahren schon in den Urlaub und kommen immer pünktlich zum Festival "Spectacles de Grands Chemins" in die Pyrenäen. Stephane wohnt und arbeitet in der Stadt Albi! Er ist dort Technischer Leiter am Theater. Brigitte bildet Krankenschwestern in Nimes aus. Ich erzähle den beiden, dass ich gern in den heißen Quellen in der Stadt baden möchte. Nur zum genießen oder zum waschen? - fragen sie mich. Nun ja, um ehrlich zu sein, hauptsächlich um mich zu säubern. Dann soll ich doch in ihr Ferienhaus kommen und dort in aller Ruhe duschen.
Wir fahren also die Serpentinen runter bis ins große Tal und ein Stückchen weiter raus aus dem Ort. Die Berge rundherum sind mit grünen Wäldern bedeckt und man kann die vielen Skipisten für den Winter erahnen. Ich werde sogar zum Mittagessen eingeladen und kann hier meine Klamotten waschen. Von Brigitte bekomme ich einen Crashkurs in Französisch, sodass ich nun endlich etwas mehr Smalltalk während des Trampens betreiben kann. Stephanes Töchter kommen abends mit dem Zug an. Ich könne entweder dann in die Stadt gebracht werden oder einfach mein Zelt im Garten aufschlagen. Ich entscheide mich für letzteres, da ich diese Nacht wirklich gerne einen ebenen Untergrund haben möchte.
Marie (18) und Jeanne (12) werden also von uns allen vom Bahnhof abgeholt. Sie amüsieren sich herzlich über den Zufall, dass ihr Vater einen Tramper mit dem Namen ihrer Heimatstadt mitgenommen hat.

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Gemeinsam essen wir Abendbrot auf der Terrasse, unterhalten uns in einer bunten Mischung aus französisch, englisch und spanisch und spielen Spiele, die nicht viele Sprachkenntnisse erfordern. Hier könnte ich auch eine ganze Woche verbringen, so angenehm und lustig ist es mit dieser Familie.

Tag 10

Eine Nacht auf ebenem Untergrund! Was gibt es besseres? Ich fühle mich sehr erholt. Um neun Uhr gibt es Frühstück auf der Terrasse und anschließend werden die Rucksäcke gepackt. Denn heute wandern wir alle zusammen durch das nahegelegene Vallée d'Orlu. Der Parkplatz ist am Fuße des Dent d'Orlu, eines massiven Berges, der jährlich tausende Kletterer anlockt.

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Wir wandern immer entlang des Flusses auf breiten Wegen. Das Wetter ist perfekt, wir haben viel leckeres Essen in den Rucksäcken und die beiden Mädchen bringen mir die französische Version von "Hejo, spann den Wagen an" bei. Die Natur ist wirklich atemberaubend schön. Auf dem Weg entdecken wir Murmeltiere und kommen an ganz vielen Eseln vorbei, die geduldig das Gepäck der faulen Wanderer tragen. Ich fühle mich gleich erinnert an Capucine und Papa Noël aus der Normandie.

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Zum Schluss geht es noch mal schön steil hoch über Matsch und große Baumwurzeln zu einem kleinen Wasserfall. Nach fünf Stunden Fußmarsch kommen wir alle todmüde am Auto an. Im Ferienhaus essen wir Abendbrot und spielen ein bisschen Karten. Dann fallen alle in einen tiefen Schlaf. Alle außer mir, denn die letzte Nacht im Zelt hat es noch mal richtig in sich. Irgendwie haben es mindestens zwei Dutzend Fliegen in das Innenzelt geschafft! Also Insektenspray rausholen, die ganze Bude vollnebeln und anschließend im Chemiedunst und unter einem Haufen Fliegenleichen schlafen. Na lecker. Und das beste: die Isomatte hat anscheinend ein Loch. Jedenfalls kann ich das Teil alle halbe Stunde neu aufblasen, da ich dann immer von Rückenschmerzen aufwache, die vom Liegen auf dem blanken Zeltboden herrühren.

Tag 11

Es ist wieder ein entspannter Morgen. Wir frühstücken alle zusammen im Sonnenschein und ich kann in Ruhe meinen Schlafsack lüften und das Zelt auf der Leine trocknen lassen, bevor ich meinen Rucksack packe. Stephane und Brigitte bieten mir an, mich bis zu einem Supermarkt mitzunehmen, der auf dem Weg zu meinem Zielort Bédailhac-et-Aynat liegt. Auf der großen Straße warte ich keine zehn Minuten. Ein blau-weißer VW T2 hält an. Endlich mal ein richtiger Hippie-Bus! In so einem wollte ich schon immer mitfahren. Das junge französische Pärchen hat sich den Bus vor vier Monaten gekauft und jetzt machen sie damit eine Reise von Lyon, über die Pyrenäen zur Atlantikküste.

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Die beiden fahren mich sogar extra noch ins kleine Dorf und dort lerne ich dann endlich die beiden Engländer Jon und Deborah und ihre zwei Söhne Dylan und Nathan kennen. Sie haben ein kleines Haus mitten im Klettergebiet von Ariège, vermieten eine Gîte und haben viel vor mit dem großen Grundstück. Aber das wird Teil des nächsten Berichts werden. Jedenfalls werde ich herzlich willkommen geheißen und abends erklimmen wir noch einen der vielen Gipfel, um in bester Aussicht das Essen zu genießen.

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Kommentare

J.&Ch. Quade06 September, 2016Schön deine Geschichten zu lesen. Wir grüßen dich und verfolgen deinen Weg mit großem Interesse. Ch. & J.

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