Rumkommen

Reisegeschichten

Bootssuche, die Erste!

Nov 012016

undefined

Luisa und ich gehen am Morgen, nachdem wir die Nacht vom Waldelfen beschützt am Strand verbracht hatten, zum Hafen von Málaga. Dort sind kaum Leute auf den Segelbooten anzutreffen und die wenigen, mit denen wir ins Gespräch kommen, raten uns weiter zu ziehen. In dieser Stadt lägen wohl kaum Boote, die Richtung Kanaren oder Karibik unterwegs sind. Also trampen wir weiter gen Westen.

Zum ersten mal seit langem trampe ich wieder mit jemandem zusammen. Daran muss ich mich erst gewöhnen. Luisa scheint mir um einiges ungeduldiger. Kein Wunder, als Mädchen wird man ja auch meist schneller mitgenommen. Ich hingegen kenne das Gefühl des langen Wartens schon. Wir werden sogar von einer Tankstelle verjagt, weil es dem Angestellten nicht passt, dass wir die Leute ansprechen, ob sie uns mitnehmen. Nach einigen Stunden ist die Hoffnung also ziemlich im Keller. Doch dann hält ein Ungare an. Er ist auf dem Weg nach Marbella, einer kleinen Hafenstadt, die auf unserer Strecke liegt. Dort könne er uns an einem Strand rauslassen, der sich einige Kilometer von der Stadt entfernt befindet, wo man problemlos übernachten kann. Er erzählt uns, dass er in dem schicken Touristenort Marbella zwei Restaurants besitzt und lädt uns zum Frühstück in eins der beiden ein. Er gibt uns eine unterschriebene Visitenkarte, mit der wir uns alles bestellen können, worauf wir Hunger haben.

Am Abend sitzen wir auf den Steinen der Mole, als ein irischer Wanderer vorbeikommt. Er sieht unsere großen Rucksäcke und begrüßt uns mit den Worten: "Hey, Hippies!" Er ist seit einigen Monaten in Spanien unterwegs, wandert von Ort zu Ort, hat kein Erspartes, auf dass er zurückgreifen kann und arbeitet auch nicht zwischendurch. Eine Sache interessiert mich besonders:

"Wie kommst du an Essen?" - "Mit meinen Händen und meinem Mund."

"Ja, aber wann und was isst du?" - "Alles was ich bekommen kann und relativ regelmäßig. So viel braucht der Körper ja nicht."

"Und wie bezahlst du dafür?" - "Gar nicht, wenn man Geld benutzt, repräsentiert man auch Geld."

"Okay, also wie gelangst du ans Essen?" - "Ich ziehe mir ein paar halbwegs ordentliche Klamotten an, nehme meine Tupperware in die Hand und gehe vor Ladenschluss ins Restaurant. Dort frage ich, ob sie mir etwas geben können."

"Aha, also die Reste der Kunden oder wie?" - "Nein, ich ernähre mich doch nicht von den Tellerresten! Ich frage direkt in der Küche nach, und wenn sie nichts haben, gehe ich eben zum nächsten Restaurant. Einmal habe ich mehrere Tage am gleichen Strand verbracht. Jeden Abend kam ein Kellner zu mir und hat mir gesagt, dass ich mir etwas abholen könnte. Das war sogar viel zu viel. Wenn ich das alles angenommen hätte, wäre mein Magen viel zu verwöhnt gewesen. Dann hätte ich mich an die Riesenportionen gewöhnt und jetzt ständig Hunger."

So einfach soll das sein? Dass ich da nicht früher drauf gekommen bin. Gerade in den Küchen von Restaurants bleibt natürlich am Ende des Tages immer etwas übrig! Aber erst mal haben wir ja eine Einladung für ein großes Frühstück. Wir trampen also am nächsten Morgen vom Strand zurück nach Marbella. Das Café befindet sich mitten in der wunderschönen Altstadt. Die Kellnerin weiß schon bescheid und heißt uns herzlich willkommen. Wir bestellen uns Tee, heiße Schokolade, Porridge, eine Käseplatte und vegetarische Paella. Ein wahres Festmahl!

undefined

Wohlgenährt treffen wir uns mit Rafa, den ich bereits in Granada kennengelernt hatte. Er ist zu Besuch bei seinem besten Freund Paco in Marbella und verbringt hier einige Wochen, bevor es für ihn weitergeht Richtung Korsika. Paco wohnt zusammen mit seinen zwei Brüdern und Eltern an der Küste. Seine Brüder Antoño und Jesús spielen in einer Reggea-Band mit. Sie laden uns zur öffentlichen Probe heute Abend ein. 

undefined

Leider ist deren Haus schon mit Gästen belegt, sodass wir uns einen Platz am Strand suchen, um die Nacht zu verbringen. Paco empfiehlt uns ein chiringuito (Strandbar), das überdacht ist. Es tut ihm furchtbar leid, dass er keinen Platz mehr für uns hat. Aber wir können unsere Rucksäcke bei ihm lassen und müssen nur Isomatte und Schlafsack zum Strand mitnehmen. Die kleine Terrasse ist ganz leer und sieht recht einladend aus. Etwas seltsam ist es schon, da die Bar direkt an der Promenade liegt und auch spät in der Nacht noch Menschen dort lang spazieren. Das ruhige Rauschen des Meeres wiegt uns dennoch in den Schlaf. Doch ein paar Stunden später wache ich erschreckt auf. Jemand ist mir gerade über die Füße gelaufen. Das tat weh. Aber er läuft schon weiter und biegt um die Ecke, sodass ich ihn - halb schlaftrunken - nicht erkennen kann. Ich schaue mich um. Der Schein der Straßenlaternen dringt definitiv bis unter das Dach. Er hätte mich also nicht übersehen können. Luisa ist auch wach geworden und so schnell schlafen wir nicht mehr wieder ein. Wir sehen den Mann von weitem ziellos durch die Gegend laufen. Er wirkt irgendwie nervös. Schließlich ist es morgens um 02:00. Nachdem wir feststellen, dass der Mann sich nicht mehr dem chiringuito nähert, schlafen wir wieder ein. Mein Schlaf wird nur noch alle paar Minuten von ein paar fiesen Mücken unterbrochen, sodass ich am nächsten Morgen mit ein paar fetten Stichen im Gesicht aufwache. Im Sommer draußen zu pennen, kann also auch manchmal unangenehm sein.

Von Marbella aus trampen wir weiter Richtung Gibraltar. Wir werden in einer kleinen Küstenstadt raus gelassen und überlegen gerade, was wir uns zum Mittag kaufen können, als wir uns an die Worte des wandernden Iren erinnern. Also zieht Luisa mit ihrer Tupperware in der Hand los, um in einem Restaurant zu fragen und ich gehe zum Bäcker. Sie kommt mit einer Gemüsesuppe und ich mit zwei Brötchen von gestern wieder. Das reicht doch vollkommen aus! Und bezahlen mussten wir dafür auch nichts. Mit dem Rucksack auf den Schultern habe ich gesagt, dass ich Reisender bin und nach Essen gefragt, was eventuell nicht mehr verkauft werden kann, z.B. weil es vom Vortag ist. Auch in den nächsten paar Tagen frage ich weiterhin in den Restaurants und werde selten mit leeren Händen weggeschickt. Eine Tschechin, die in einer Paella-Bar arbeitet, bietet mir sogar an, jeden Tag gegen acht Uhr vorbei zu kommen. Dann wird sie mir immer etwas geben können. Sie selbst sei nämlich einen Monat lang ohne Geld durch Spanien gewandert und auf die Spenden der Gaststätten angewiesen gewesen. Nun könne sie etwas zurückgeben. Und am Ende des Tages bleibe sowieso immer etwas übrig.

In La Línea angekommen machen wir uns auf die Suche nach einem Schlafplatz. In der Stadt gebe es wohl nicht viele Möglichkeiten. Ein paar Passanten empfehlen uns, über die Mauer der Grundschule zu klettern. Dort gebe es zwar eine Frau, die auf dem Grundstück wohnt, aber wenn wir unser Zelt im Schatten des Baumes aufschlügen und früh genug aufstehen, könne da recht wenig passieren. Das klingt zwar nach einem Plan, aber so ganz wohl ist uns dabei nicht. Über Mauern klettern... das grenzt aber schon hart an der Legalität. Also gehen wir noch etwas planlos durch die Stadt. Nicht nur planlos, sondern auch sehr langsam, denn ich bin zwei Tage vorher in einen Seeigel getreten und komme nur noch halb so schnell voran. Da kommt uns auch schon Adrian entgegen. Er ist Rumäne, wohnt hier in La Línea und arbeitet in Gibraltar. Er fragt uns, was wir heute noch vorhaben mit unseren Rucksäcken. Wir erklären ihm, dass wir auf der Suche nach dem großen Park sind, um dort unser Zelt aufzuschlagen. Daraufhin lädt er uns ein, in seiner Wohnung zu übernachten und bietet uns Essen und eine Dusche an. Als er von meiner Wunde im Fuß erfährt, durchsucht er seinen gesamten Medizinschrank nach möglichen Desinfektionsmitteln und Medikamenten, die Schwellungen lindern sollen. Er ist unglaublich herzlich.

Am nächsten Tag gehen Luisa und ich zum Hafen und fragen an den offenen Stegen, wer alles auf die Kanarischen Inseln unterwegs ist. Ein französischer Katamaran ist bereits voll. Doch dann fährt Stefan mit seinem Fahrrad den Steg entlang, muss sich an uns beiden und den dicken Rucksäcken vorbei schlängeln und so kommen wir ins Gespräch. Er fährt tatsächlich mit seiner 12 Meter langen Segelyacht "Carabao" auf die Kanaren. Wir können gerne mitkommen. Es macht auch nichts, dass wir beide keine Segelerfahrung haben. Schließlich sind es nur sechs Tage, in denen man etwaige Seekrankheit auch mit Tabletten oder purem Ingwer überbrücken kann. Das Wetter soll sehr ruhig werden. Vielleicht sogar zu ruhig, sodass wir einen Großteil der Strecke mit Motor fahren müssten. Aber das sagt mir doch mehr zu, als große Wellen und starke Böen. So schnell kann es gehen!

undefined

Wir treffen uns morgens an seinem Boot und besprechen, was wir alles noch besorgen müssen. Luisa und ich kümmern uns um das Essen und etwas Trinkwasser. Ein billiges Paar Turnschuhe mit weißen Sohlen besorgen wir uns auch noch. Stefan ist ein extrem entspannter Zeitgenosse, Baujahr 1960, und segelt schon seit er 15 Jahre alt ist. Dieses Jahr ist er seit Mai auf dem Mittelmeer vor allem um Griechenland herum unterwegs gewesen. Auf dem Atlantik ist er selbst noch nie gewesen. Also wird es für uns alle ein großes Abenteuer. Aber ich merke gleich, dass man Stefan blind vertrauen kann.

Abends kommen wir dann mit dem Großeinkauf in unseren beiden Reiserucksäcken auf dem Boot an. Dort erwarten uns auch noch ein paar andere Segler an Bord. Sonja und Michel sind ebenfalls seit einigen Monaten schon mit ihrer "Pantera" unterwegs und Paul ist den ganzen Weg von Norwegen bis nach Südspanien runtergesegelt. Die drei wünschen uns viel Glück für morgen und etwas mehr Wind als vorhergesagt, denn der Sprit würde nicht ausreichen für sechs Tage...

16.10.2016 - Es geht los! Abfahrt ist relativ spät um 11:00, da Stefan noch eine neue Rettungsinsel bestellt hat und diese in Gibraltar an der Bootstankstelle abholen muss. Wir fahren mit dem Motor aus dem Hafen heraus und bis kurz vor Tarifa. Dort nimmt der Wind dann zu, sodass wir unerwarteterweise schon ziemlich früh Segel setzen können. Die Wellen hier sind sehr unruhig und bringen das Schiffchen ordentlich ins Schaukeln. Also immer schön auf den Horizont schauen, ablenken mit guten Gedanken und rohen Ingwer essen. Dies seien die besten Mittel gegen Seekrankheit, sagt der Kapitän.

undefined

Kaum sind wir aus dem Küstenbereich raus und draußen auf dem Atlantik, glätten sich die Wogen und es sind auch kaum noch Frachtschiffe unterwegs, die uns den Weg abschneiden. Tatsächlich scheinen diese die größte Gefahr für Segelboote auf dem Meer zu sein. Nun legt sich auch meine Übelkeit und die Stille ist atemberaubend schön. Das einzige, was man hört, sind das Rauschen von Wind und Wasser und ab und an das Schlackern der Segel. Die Sonne scheint kräftig, aber der Wind kühlt uns gut ab. Und so zeigt der Schwabe einem Rostocker, wie man segelt.

undefined

Manchmal lässt es die Strömung nicht zu, schwimmen zu gehen. Dann muss man sich eben mit einem Eimer Wasser aushelfen, um sauber zu bleiben.

Die Kombüse ist gut ausgestattet. Wir kochen Reis mit frischem Gemüse, trinken Kaffee und Tee und müssen uns nicht einmal die Zeit mit etwas anderem als Kurs halten, Segel einholen und Windfahne einstellen vertreiben, da dieses Gewässer auch für unseren Kapitän Neuland ist. Abends nimmt der Wind dann leider wieder ab, sodass wir den Motor anschmeißen müssen. Nach dem Abendbrot organisieren wir die Nachtwachen. Ich lege mich um 21:00 Uhr schlafen und Stefan hält das Ruder noch bis 00:00 Uhr. Dann löse ich ihn bis 03:00 Uhr ab und wecke Luisa, die die Schicht bis 06:00 Uhr übernimmt. So können wir alle genügend schlafen und jeder hat mal das Vergnügen, das Schiff bei Vollmond zu steuern.
Zwar fahren wir die gesamte Nacht mit Motor aufgrund fehlenden Windes, dennoch ist es einfach nur magisch, auf so einem großen Meer unter dem Sternenhimmel unterwegs zu sein.

undefined

In den folgenden Tagen nimmt der Wind wieder zu und so segeln wir bei Sonnenschein und sternenklaren Nächten. Nach einem Frühstück aus Rührei, Brot und Porridge mit frischer Mango springen wir ins Wasser. Es ist herrlich klar und hat die perfekte Temperatur zum Abkühlen. Danach geht es stetig voran mit fünf Knoten und sehr seichten langen Wellen, die es mir sogar erlauben, ein wenig Tagebuch zu schreiben, ohne mich alle zehn Minuten übergeben zu müssen.

undefined

Schnell haben wir das perfekte Spiel gefunden, um sich zu dritt die Zeit an Bord zu vertreiben. Stefan und Luisa kannten es zwar beide nicht, sind aber nach einigen Testrunden und dem Erläutern der tauenden Regeln schnell süchtig geworden. Zum Glück hat mir mein Opa damals gezeigt, wie man es spielt. Die Rede ist von Skat! 

undefined

Nach vier Tagen und zwölf Stunden sehen wir schließlich Land! Wir erreichen die kleine Insel La Graciosa, nördlich von Lanzarote. Davor gibt es eine schöne Bucht, in der wir Nachts ankern. Morgens tun sich dann vor uns die Vulkanberge der Insel auf. Die Landschaft ist atemberaubend schön und karg. Ein sehr schöner Kontrast zu so vielen Tagen nichts als Wasser bis zum Horizont.

undefined

Playa Montaña Amarilla auf La Graciosa.

undefined

Luisa erkundet die einzigartigen Felsformationen. Das sieht auch nach einem gut geschützen Schlafplatz aus!

Wir nutzen die Gelegenheit und begehen einen der Vulkane. Es gibt einen einzigen kleinen Hafenort auf der Insel. Ansonsten kommt man nur zu Fuß von der Küste durch die Hügel zur anderen Küste. Im Hintergrund erkennt man die Ankerbucht mit der "Carabao" und die Nordseite Lanzarotes.

undefined

Lanzarote steuern wir am nächsten Tag an. Dort warten wir das schlechte Wetter ab und erkunden ein wenig die Insel. Sie ist natürlich um einiges größer, aber ähnlich ruhig, da sich der Tourismus nur an den Küstenorten ansammelt. Sobald man ins Landesinnere fährt, kann man quasi allein durch die Lavameere wandern.

undefined

undefined

undefined

Lanzarote ist voll von Vulkankratern. Manche sind mit einer Art Flechte überwachsen und lassen im Kontrast zum schwarzen Lavameer den Krater wie eine Mondlandschaft erscheinen.

Schließlich fahren wir noch bis Teneriffa mit Stefan. Dort verabschieden wir uns dann schweren Herzens, da er zurück nach Deutschland fliegt und erst in einigen Wochen wiederkommt, um über den Atlantik zu fahren. Für die Überfahrt ist das Boot aber leider schon voll besetzt. Es war eine sehr harmonische, witzige und interessante erste große Segelerfahrung für mich. Wir hatten ein riesengroßes Glück mit Stefan als unserem ersten Kapitän!

Es gibt keine veröffentlichten Kommentare.

Neuer Kommentar

Atom

Powered by Nibbleblog