Rumkommen

Reisegeschichten

An Bord der Hoppet

Dez 012016

Als Stefan Luisa und mich von seinem Boot "Carabao" verabschiedet, findet Luisa sofort eine neue Schlafmöglichkeit. Sie hat sich ein bisschen am Hafen umgesehen und ist direkt auf ein wunderschönen alten Schoner aus Estland gestoßen. Das Schiff heißt "Hoppet" und ist im Jahre 1927 gebaut worden. 

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Es ist eines der letzten estnischen Segelschiffe dieser Art. Alar hat es zusammen mit einem Freund gekauft, als der Rumpf, das Deck und die Takelage bereits von einer finnischen Werft restauriert wurden. Sie haben sich dann gemeinsam um den Ausbau des Innenraums gekümmert, denn ursprünglich wurde die Hoppet zum Transport von Lasten und Gütern eingesetzt. Jetzt sind Kojen für mehr als 20 Personen und eine voll ausgestattete Küche an Bord.

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Solch eine Koje haben Luisa und ich uns für zwei Wochen geteilt.

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In der Kombüse gibt es nicht nur einen Gasherd, Ofen und zwei Kühlschränke, sondern sogar einen Geschirrspüler!

Gegen einen kleinen Beitrag können wir auf dem Schiff übernachten und haben so die Möglichkeit, im Hafen zu bleiben, um nach Booten zu fragen, die entweder auf Inseln in den Kanaren oder in die Karibik fahren. An den Tagen, an denen wir aushelfen mit Schleifen, Ölen, Streichen oder Putzen müssen wir sogar nichts bezahlen! Das alles haben wir der Gutmütigkeit Alars zu verdanken, denn die Ausgaben für solch ein privat finanziertes Schiff sind enorm. Aber er hat Verständnis für unsere Situation als Langzeitreisende. Siim ist Mitte zwanzig und seit über einem Jahr auf der Hoppet als Matrose eingestellt. Er weiß nicht nur, welches Seil zu welchem Block gehört, sondern kennt mittlerweile auch jedes Stück Metall und Holz auf dem Boot bestens, da er alles schon mehrmals abgeschliffen und neu geölt oder mit Teer gestrichen hat.

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Der zweite Matrose ist Udu. Niemand redet lauter und mehr als er. Sein Energiepotential ist enorm. Da er immer bester Laune ist, fällt es ihm leicht, die Stimmung der Gäste an Bord ständig aufrecht zu erhalten.

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Und dann ist da noch Ain, der Kapitän. Ein Zeitgenosse, der sehr schwer aus der Ruhe, beziehungsweise zum Reden zu bringen ist. Doch wenn er erst mal ein paar Gläser Rum intus hat, erfährt man allerhand Interessantes von ihm, zum Beispiel dass er sich in den 1980er Jahren an einem geheimen Ort im Norden Russlands um den Atomantrieb der sowjetischen U-Boote gekümmert hat.

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An einem Samstag werden gefühlt alle Esten, die derzeit auf Teneriffa Urlaub machen, auf die Hoppet eingeladen. Morgens gibt es Pfannkuchen, gemacht von der Crew und am Nachmittag segeln wir dann für ein paar Stunden auf dem Meer. Es ist schon beeindruckend, welche körperliche Arbeit von den Matrosen und freiwilligen Helfern gefordert wird, um die Segel zu setzen. Schließlich wird hier alles per Hand gemacht. Es gibt keine einzige Winsch, die einem das Ziehen der Leinen erleichtern würde.

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Und als die Segel gesetzt sind, darf ich sogar den Mast besteigen. Das ist eine wahnsinnig tolle Erfahrung - bei gutem Wetter. Ich möchte mir gar nicht erst vorstellen, wie es sein muss, ein Problem der Groß- oder Toppsegel im Sturm lösen zu müssen.

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Bevor es in den Hafen geht, müssen die Segel natürlich wieder eingepackt werden. Bei dieser Gelegenheit verkaufe ich mich doch gleich mal als Crewmitglied und gehe Siim etwas zur Hand.

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Nach der Arbeit kommt das Vergnügen!

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Der Besitzer Alar ist überglücklich, endlich wieder auf seinem Schiff unterwegs zu sein. Immer wieder fliegt er zu seiner Familie nach Estland, denn für die Erhaltung des Bootes muss hart gearbeitet werden.

Einen kleinen Schaden haben die Esten ja schon. Natürlich ist es kalt in den baltischen Ländern, weshalb eine große Tradition im Norden die Sauna ist. Doch ein Paar Esten ging sogar soweit, dass sie ihre Sauna bis nach Teneriffa an der Anhängerkupplung ihres Autos mitgenommen haben. Nicht dass man schon so genug schwitzen würde. Nein, auch auf den Kanaren wird nicht auf die Tradition verzichtet!

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Alice kommt aus Washington (State) und arbeitet derzeit auf einer Segelyacht. Sie ist an einer Privatschule engagiert, die ihre Teenager-Schüler auf See sendet. Das Segelboot liegt noch bis Ende November im selben Hafen wie die Hoppet, um dann bestens vorbereitet den Atlantik in Richtung Karibik zu überqueren. Alices Freundin Ivy ist von Washington nach Teneriffa geflogen, um sie zu besuchen. Die beiden schlagen Luisa und mir eine schöne Wanderung vor. Wir starten in dem kleinen Ort Masca in den Bergen der Nordwestküste Teneriffas. Von dort aus geht es stetig bergab durch eine beeindruckende Schlucht aus Vulkangestein.

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Es ist unglaublich, wie sich die Landschaft hier zum Süden der Insel unterscheidet. Da sich die Wolken hier fast täglich abregnen, passieren wir grüne Flächen aus Bambus, Palmen, Wasserpflanzen und Moos. Große und kleine Steine bilden grobe Pfade durch die Schlucht. Teilweise muss man sogar ein wenig kraxeln, um nach zwei Stunden atemlosen Bestaunens der schattigen Vulkansteinformationen am Strand der Masca-Schlucht anzukommen.

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Hier findet man auch noch einige der sonst scheuen Felsenhühner Teneriffas.

Dort gibt es nur drei Stände, die einem einen Eindruck von Zivilisation verleihen: ein Mann, der unter einem Sonnenschirm sitzt und Obst und Getränke aus einer Kühlbox verkauft und zwei Mitarbeiter von Fährgesellschaften, die die Überfahrt zur nächstgrößeren Stadt organisieren. Ansonsten ist hier Schluss und der einzige Weg zurück führt durch den Canyon nach oben.

Nachdem wir uns in den hohen Wellen des schwarzen Sandstrands abgekühlt haben, entscheiden Alice und Ivy sich dazu, noch heute den Rückweg anzutreten. Siim kommt dann am Abend als einziger Fahrgast mit dem letzten Boot am Strand an. So planen wir, die Nacht zu dritt unter dem Sternenhimmel in der Schlucht zu verbringen. Als wir uns auf die Suche nach einem Schlafplatz machen, kommt uns ein Holländer entgegen. Er fragt, ob jemand von uns Arzt ist, denn seine Frau hätte sich den Knöchel gebrochen und läge ein ganzes Stück weiter oben auf dem Pfad. Er musste hinunterkommen, um den Rettungsdienst zu rufen, da es nur hier Empfang gibt. Siim und Luisa schnappen sich eine Decke und ein paar Wasserflaschen aus der Kühlbox, die nun ohne Verkäufer dasteht, und machen sich schnell auf den Weg, um erste Hilfe oder wenigstens Beistand zu leisten, während der Ehemann und ich auf die Retter warten. Ein Schlauchboot mit neun Personen nähert sich schon bald der Küste. Die Sonne ist mittlerweile untergegangen und so laufen wir mit Kopflampen ausgerüstet den steinigen Pfad bergauf. Währenddessen denke ich die ganze Zeit: wie praktisch, dass die Sanitäter bereits hier sind, so macht es nichts, wenn ich mir bei dem Tempo unter diesen Bedingungen (es beginnt nun auch zu nieseln) ebenfalls den Fuß breche. Dann kann ich auch gleich mit ins Boot.

An einem Abend nehmen wir uns den Mietwagen der Hoppet-Crew, um zu schauen, was es in den Mülltonnen des großen Supermarktes "Mercadona" zu holen gibt. Wir kommen mit dem kompletten Kofferraum voll gutem Essen zurück. Darunter sind 35 kg Orangen, diverse andere Obstsorten, Brot, Nudeln, Reis, Salz, etc. Es ist schon abartig, dass das alles im Müll gelandet ist und nicht gegessen worden wäre:

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Luisa und ich verbringen insgesamt 15 Tage an Bord der Hoppet. Wir lernen eine Menge über Estland, trinken viel Rum, kochen, containern und haben einfach nur viel Spaß mit den Esten an Bord. Jeden Morgen springen wir mit Siim ins Meer, um uns abzukühlen. Und die Abende sind meist recht lang. Es wird musiziert und am Schiff gewerkelt.

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Luisa zeigt uns wie man echte kolumbianische Empanadas zubereitet.

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Hier trennen sich unsere Wege. Luisa und ich sind sechs Wochen lang zusammen gereist. Es war eine tolle und intensive Zeit zusammen. Wir haben sehr viel voneinander über uns und die Kulturen unser Herkunftsländer gelernt. Es wäre schön, auch ein Boot zu finden, das uns beide über den Atlantik bringt, doch in mir überwiegt das Gefühl wieder unabhängig weiter zu ziehen. Bevor es aber rüber geht, möchte ich mir noch die Insel La Gomera anschauen. Also frage ich im Hafen herum, wer demnächst dorthin segelt...

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